LIFEALBUM

10 ERZÄHLER: Wir hatten seit mehr als dreißig Jahren nicht voneinander gehört, als das Tele- fon klingelte und M. mich unvermittelt fragte, ob ich ihm den Gefallen tun könnte, ihn vom Krankenhaus abzuholen und ihn »endlich nach Hause zu brin- gen« , wie er sich ausdrückte. Als ich den Wagen stoppte, wie von ihm angewiesen, standen wir vor einer Villa – ehemals die seiner Eltern –, und er dankte mir und verabschiedete sich mit den Worten, er wollte eigentlich seine Wohnung niemals wieder betreten, aber ... Mit einem Achselzucken stieg er aus dem Wagen. Das ereignete sich zwölf Monate nachdem er seinen Selbstmordversuch über- lebt hatte. Von dem ich erst während dieser Fahrt erfahren hatte. Noch nie sprach jemand so offen zu mir, wie M. auf jener Autofahrt. Ich fühlte mich ihm näher denn je. Er müsse jetzt viel nachdenken sagte er mir, »Nicht jeder bekommt eine zweite Chance!« Damit hatte er verdammt recht, doch gleichzeitig grinste er dabei so ungläubig, dass es mir schwer fiel, ihm abzunehmen, dass er daran wirklich glaubte. Vielmehr schien seine Mimik sagen zu wollen: » Mal sehen, wie lange ich es diesmal durchhalte!« Als ich losfuhr, nachdem ich noch einige Minuten still verharrend im Wagen über seine Worte nachgedacht hatte, sah ich noch, wie er dabei war sämtliche Vorhänge und Jalousien zuzuziehen. In dieser Nacht geschah ihm das Un- verhoffte.

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