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- THE STORY -

 
PART 1 PART 2 PART 3 PART 4 PART 5

 
   
  PART 4
  M. IST GEFANGEN IN SEINER SELBSTGESTALTETEN HÖLLE. ER SIEHT KEINE ZWEITE CHANCE.  
Personen   Songs
M.
12. Wired

"Nur eines ist eben gewiss, man darf nicht enttäuschen!" Lebensweisheiten halten sich lange. Meine Synapsen spielen verrückt. Ich gieße mir in jedem Hotel dieser Welt, als erstes ein halbes Dutzend der Fläschchen aus der Minibar in einen Zahnputzbecher und bemühe mich, auf diese Weise meine Nerven in den Griff zu bekommen. Die Fragen wurden in der Vergangenheit mehr und mehr, anstatt, wie erhofft, sich irgendwann aufzulösen. Wofür lohnt es sich denn jetzt zu leben? Egal ob auf Island, Hawaii, Sizilien, in Australien, Japan oder Venezuela, nirgendwo vergönnte ich mir Urlaub von mir selbst! Das Feuerwerk zwischen meinen Synapsen beruhigt sich einfach niemals, zu keinem Zeitpunkt! Wie nur kann ich mir treu bleiben, ohne dass ich daran verbrenne?

So legt sich ein Puzzleteil neben das andere, aber, ob sie jemals zueinander passen würden, frage ich mich schon lange. Was ich nicht beseitigen kann, sind die Fugen, die sich als Risse zu erkennen geben. Manche sind deutlich zu groß, als dass man sie hätte kitten können, auch wenn ich gewollt hätte. Aber ist das eigentlich gewollt? Was ist zwischen den Teilen? Es gibt lange Phasen in meinem Leben, die sind nichts als Zwischenraum. Daraus kann niemals ein Ganzes entstehen. Man kann nicht jeden Tag nutzen, das ist Quatsch, die Sache mit dem "Carpe diem". Dennoch ist eindeutig zu viel Zwischenraum, sagt mir mein Gefühl. Zunehmend erscheint mir all das Erreichte als lächerlich und nichtig.

Ich habe es schließlich doch noch - entgegen allen Verheißungen - "zu etwas gebracht", wie man so gemeinhin sagt. Schlimm daran ist, ich weiß nicht mehr, was ist mir das wert? Ich sitze hier, in Moskau, Madrid oder Brüssel oder irgendeinem anderen beliebigem Ort auf diesem Planeten, in einem dieser Hotelzimmer im immer gleichen Zeitgeist-Design und kann es mir leisten, zu trinken, zu sinnieren, zu weinen, zu …, ohne dass mir wirklich etwas weh täte. Mir fehlt es an nichts. Mein Bankkonto ist gefüllt, mein Adressverzeichnis erlaubt mir spontan jeden Kontakt, den ich wünsche. Mit Familie, mit Freunden, mit Prostituierten, mit Geschäftsleuten. Doch was bin ich mehr, als ein Knotenpunkt im globalen Synapsen-Feuerwerk? Kann ich mich nur noch vergleichen? Ich bin nichts Konkretes und mir bleibt nichts von eigenem Wert? Meine Position ist nicht zu ermitteln. Dabei verachte ich den unerklärlichen Stolz der Vielen, der aus jeder ihrer Falten lacht, darauf es "zu etwas gebracht" zu haben. Ist das alles, wofür wir taten, was wir ein Leben lang taten? Wie sind wir hierher gelangt? Nur um irgendwann, das von uns den anderen gegenüber behaupten zu können. Und keiner weiß, was dieses "Etwas" überhaupt sein soll. Was sind wir nur für ein heuchlerischer, schizophrener Haufen! Die allgegenwärtige Kommunikation hat uns einander nicht nähergebracht, in Verständnis und Liebe, nein, sie hat uns aneinander gekettet und lässt uns separat im je eigenen Netz zappeln. Die Gemeinschaft ist dahin, die Gesellschaft hat übernommen. Und wir haben alles dafür getan: die Innovationen, die Träume, unser Lernen und Forschen. Als hätten wir geschielt, peilten wir Ideale an und wirtschafteten lediglich Funktionssystemen in die Tasche. Warum war unser Blick so getrübt? Wer verabreichte uns einst das Gift, das uns halluzinieren ließ?

Der Tag muss immer etwas versprechen, sonst würde ich heute nicht aufstehen. Wie konnte ich mich so schamlos selbst belügen? Mir selbst konnte ich vormachen, was ich nicht wollte. Ich perfektionierte es, von mir belogen zu werden. Mach Dir nichts vor, hatte schon jeder einmal zu mir gesagt. Doch keiner kannte mich, aber alle wussten sie, was ich mir nicht vormachen solle. Wie soll ich jetzt das nächste Teil an das andere fügen, wenn es einen Zwischenraum gibt, von dem ich nicht einmal ahne, wie groß er ist. Mit den Teilen kann man ja leben, aber mit den Zwischenräumen schwerlich.

Am besten man übersieht sie. Unterdessen webt sich unbemerkt mein Kokon. Dabei dachte ich lange Zeit, die Fäden in der Hand zu halten, obgleich sie mich permanent mehr und mehr fesselten. Meine vielen Verbindungen sind mein Segen und mein Fluch! Nur scheinbar spinnt ein Mr. Unbekannt das Netz. Ich tue es selbst mit größter Akribie. Mit jeder Regung meinerseits trage ich dazu bei, mich in meinem Leben zu verheddern. Der Teufel - ich höre ihn schon lachen - reicht stetig neuen Faden. "Daten sind unsere Währung, Beziehungen machen nur mehr unseren Wert aus", heißt es mittlerweile ganz ohne Scham. Alles ohne jeden intrinsischen Wert. Hinfort ihr naiven Wertvorstellungen! Irgendwann zucke ich nur noch in meinem Netz aus Kontakten und Verpflichtungen: Die Agentur, die Frau, die Kinder, die Freunde, die Feinde! Ich bin die Spinne, die sich selbst einwebt.

 
»Wired«
 
M., Die 7 Todsünden
13. Extreme

Die Verstrickung in steigende Ansprüche, Allmachtdenken und Arroganz verursacht zunehmend Unsicherheit, und: Die Tiefe geht verloren, die Fähigkeit zu einer wahren menschlichen Beziehung ist nahezu völlig verloren gegangen, ja beinahe jedes Gefühl. Sich selbst wieder spüren, wird zur Aufgabe einer ganzen Generation. Alles ist Oberfläche und Verhandlungsmasse. Alles lässt sich zutexten und ändert doch nichts an meiner fehlenden Substanz. Als könnte ich nie mehr lieben. Nichts scheint mir fremder, als verliebt zu sein. "Du hältst das Schiksal dieser Zeiten schwerlich aus. Du wirst noch mancherlei versuchen, wirst - O Gott! und Deine letzte Zuflucht wird ein Grab seyn."

Nur meine Melancholie ist mir geblieben. Lese ich Hölderlin, so ist es noch meine intelligenteste Art mit der Destruktivität der Welt umzugehen. Ich beneide meinen Freund den Mond, wenn ich nachts auf meiner Dachterrasse liege und beobachte, wie er stoisch seine Runde zieht. Der Mond scheint mir wie ein Verbündeter. Die Nacht meine letzte Zuflucht. Die Nacht wird mein Zuhause und die Ablenkungen stehen bereit, mir nur allzu nahe, meine vermeindlichen Freunde. Die Droge steht mir bei und ich verweigere die Erkenntnis, dasssie mich fest im Griff hat und mein Leben ohne sie kaum noch möglich scheint. Das Bestreben, das Gefühl aufrecht zu erhalten, dass ich doch noch in der richtigen Liga spiele, lässt mich auch nicht zögern, zu den kleinen Ablenkern und Aufhellern zu greifen.

In meinen Dreißigern als ich heiratete - nicht Betula (und niemand weiß, ob sie mich auch wirklich glücklich gemacht hätte?) suchten mich bereits in den Flitterwochen die ersten der "Sieben Todsünden der Moderne" heim. Und in der Folge habe ich sie jede einzelne gut kennengelernt und gern von ihnen gekostet.


Im Rausch habe ich Ablenkung gesucht, um mein Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen! Und wie im Rausch habe ich mich gegen jede Realität meinen fanatischen Illusionen hingegeben. Meine ach so viel geliebte Freiheit habe ich lediglich dazu genutzt, mich selbst zu optimieren, und habe mich dabei eigentlich nur selbst unterdrückt! Weil ich Idiot die Wahrheit nicht mehr sehen wollte, stürzte ich mich mit Hybris ins Leben: Habe das Risiko gesucht, weil ich eh nur mir noch vertraute. Gottvertrauen längst in den Wind geschrieben, habe ich zum Spaß nebenbei noch den Tod herausgefordert! Dabei zählte immer nur das, was kommen wird: Die Zukunft, das Neue ist die Prophezeiung des Guten. Der ganze Fortschritt nur des Fortschritts wegen betrieben, als gebe es ein Morgen nur als Verbesserung. Wir nannten es Authentizität und haben dabei unseren freien Willen unbemerkt verraten; lediglich betrunken und verliebt in uns selbst. In unserer Gefallsucht fanden wir uns schließlich in der Masse der Vielen vereint. Dem Herdentrieb haben wir gefrönt, ohne es wahr haben zu wollen und geglaubt, wir seien jeder etwas Besonderes. Doch die anderen haben wir nur benutzt, um uns zu vergleichen und um uns gelegentlich in der Masse zu entladen und sind dabei widererwarten in der Nichtigkeit versunken.

Allesamt schlagen sie mich mühelos in ihren Bann, die unwiderstehlichen, schönen "Sieben". Verführerisch nehmen sie mich gefangen, ringen um meine Zuneigung und rauben mir jeden Verstand, was ja ihre ureigenste Aufgabe ist! Sie tun es gut, sie sind die Meisterinnen ihrer Künste. Sie sind meine Meisterinnen. Sie setzten mich auf diesen verlorenen Posten, der mein Thron sein sollte! Unsere Vernunft erweist sich als zu schwach und immer wieder korrumpierbar. Dabei sind wir uns immer einig: Die Drogen wollen wir nicht, aber: "The Man who comes back through the Door in the Wall will never be quite the same as the man who went out."

Warum nur? In meinem allnächtlichen Traum beschwört mich Betula immer wieder, ihr die Frage zu beantworten. Ich kann nicht beantworten, was wir warum getan haben. Es ist gekommen, wie es gekommen ist. Zu billig die Ausrede?

 
»Extreme«
   
M., Wild Roses
14. Wild Roses Die

Unsere Vorbilder sind beinahe alle tot. Helden sind Geschichte. Es gab eine Zeit, als Empörung noch geholfen hat; als die wilden "Gewächse" noch wucherten, als die Charakterköpfe, die Unbeugsamen und Eigensinnigen die Krone trugen. Diejenigen, die sich nicht bevormunden ließen von selbstgerechtem Konformismus. Wo sind die Typen mit Ecken und Kanten heute? Sie sterben nicht nur, sie sterben scheinbar aus. Als Individualist gefeiert ist man zum Nörgler degradiert. Alle Dornen vertrocknet und alle Wildrosen tot. Ich stehe vor Euren Grabsteinen und sehe schon die letzten offenen Gräber. Fühle wie es einsam wird um mich her. Ich knie nieder vor Euch, lege meine Krone nieder und habe nichts mehr als Wut für die Zurückgebliebenen:

"Schämt Euch Ihr Narzissten! Die ihr Euch in Eurer Selbstverliebtheit nur noch speist vom Neid auf das Glück der anderen. Ihr, die ihr Solidarität heuchelt und Gemeinschaft nur noch vortäuscht, haltet Euch und die anderen klein! Weil ihr Euch die Bequemlichkeit als Eure einzige Gebieterin erkoren habt. Ihr verbietet Euch selbst den Mund, weil man damit besser nach oben kommt. Nach Oben scheint die einzige Richtung, die ihr kennt. Ihr hasst das Glück der anderen und glaubt, sie hätten es Euch gestohlen. Woher sonst sollten sie es haben? Worin liegt Euer Stolz und Eure Würde? Euer Großmut, Eure Demut? Wie haltet ihr es aus, Euch selbst zu demütigen und kleinlaut die Floskeln nachzubeten, die Euch eine konformistische Gemeinde vorbetet? Indem ihr nach den Moralpredigten Euch sehnt, die eine hoffnungslos überforderte Elite Euch aufbürdet, weil sie selbst zum zahnlosen Tiger wurde. Aller Mangel wird Euch übertragen und Ihr seid Euch nicht zu schade ihn auf Euch zu laden? Man sagt, ihr seid schwach und ihr seid es, weil ihr Euch dafür entschieden habt! Sie sagen ihr seid unmündig und ihr gebt es zu, weil es Euch entlastet! So schwebt ihr dahin schwerelos und unbekümmert. Sie sagen ihr seid klein und ihr macht Euch noch kleiner! Wie lasst ihr mit Euch reden, wie Euch behandeln? Ihr seht es und ihr ertragt es, weil sie Euch glauben machen, dass das Eure Pflicht sei! Vorbei die Zeiten, da man Stolz dem Konformismus vorgezogen hat. In denen das Mitschwimmen noch verpönt war und das Nachmachen als ärmlich galt. Ihr seid nur noch Nachahmer und Neidhälse, die nicht mehr wissen, was sie glücklich macht und deshalb lieber unglücklich ihren Neid pflegen. Steht endlich auf und erhebt Euch, wieder einmal aus dem Staub der Unmündigkeit, und lasst es, Eure eigene Bequemlichkeit für Glück zu halten!"

 
»Wild Roses Die«
     
M., Mr. Neutron
15. Mr. Neutron

Unterdessen ist es kalt geworden. Man könne auch gut auf mich verzichten, sagt man mir. Wenn man merkt, dass kein Interesse besteht, dann wird man immer weniger wert. Für sich, für andere, für mich. Nur manchmal noch kommt das Leben aus eben diesen Ritzen hervorgekrochen, dann macht es sich lang und legt sich dir zu Füßen. "Wird schon bald vorbei sein. Denkst Du nicht?" Für alle Fälle kann man es ja auf Video festhalten.

Zu dieser Zeit hätte ich auf die Frage, was ich mit nun mit meinem Leben anfangen will, sicher wieder einmal geantwortet: "Ich habe keinen Plan!" Und auf die Nachfrage: "Warum?", hätte ich behauptet: "Weil für mich keiner mehr vorgesehen war!"

Nun müsse es eben richtig losgehen, mit dem Geldverdienen, endlich der Respekt verdient sein, für all das Geleistete. Anspruch auf die Anerkennung, die man mir versprochen hatte, wenn ich mich nur genug anstrengte!

Es waren Menschen ohne Eigenschaften und jetzt hatten sie nicht einmal mehr einen Plan. Weil es eben auch keinen Sinn mehr macht. Diese Leute hatten immer gesagt, man müsse heute flexibel sein, wenn man in dieser Welt bestehen wolle. Was sie aber meinten war, man müsse einen Plan für sein Leben haben, und ständig bereit sein diesen Plan zu verwerfen, um spontan einen neuen aus der Tasche zu ziehen. Welch vergebliche Kraftanstrengung! Man wollte einen begabten Dilettanten aus mir machen. Dabei war ich wirklich flexibel. Das Beste sei sich jeden Augenblick das zu nehmen, was man für richtig hielt. Mich hätte man einen sanften Opportunisten nennen können, bestenfalls, das hätte mir gefallen. Besser als gar keine Eigenschaft. Ich war längst, was alle vorgaben, von mir zu wollen. Sie nahmen Flexibilität für das hoffnungsvolle Unternehmen jederzeit einen geeigneten Lebenslauf in der Tasche zu haben. "Das Leben braucht keinen Plan, nur Entscheidungen", entgegnete ich einmal geistreich.

Mittlerweile nennt man mich auch schon Mr. Neutron. Und während Mr. Neutron an seinem Schreibtisch sitzt und in seinen Monitor glotzt, wird ihm immer klarer: Niemand legt mehr den geringsten Wert auf das, was er tut. Wenn er abends den Fernseher einschaltet, spricht Mr. MTV zu ihm in immer gleichformulierten Floskeln von den immer gleichen Krisen und Katastrophen. Er erzählt ihm von der Zeitgeistin. Er erzählt ihm dann von einer Welt, mit der er eigentlich nichts zu tun hat. Er redet über die Großen, die Präsidenten, sogar über die üblen Gestalten, die Verbrecher, über die Skrupellosen und die Stars, über Olympioniken und Nobelpreisträger, aber auch von den Hilflosen und Bedürftigen, von den Unterstützungsmissionen und Militäreinsätzen. Niemand spricht von Mr. Neutron. Er ist nur dazu da, die Welt im Innersten zusammenzuhalten. Mr. Neutron, ist stets erwünscht, diesem Treiben zuzusehen, ohne ihn gäbe es kein Publikum und dem kommt die Aufgabe zu, dass das alles nicht auseinanderfällt. Er selbst sitzt an einem unscheinbaren Arbeitsplatz, bei seiner unscheinbaren Familie in seinem unscheinbaren Wohnzimmer. Er selbst ist klein und manchmal sogar unsichtbar. Er bräuchte schon ein Megafon, wenn er gehört werden wollte. Ehrlich gesagt müsste er schon in der Innenstadt Amok laufen, damit ihn jemand zur Kenntnis nähme. Und Mr. MTV würde über ihn sprechen. Doch sein Gesicht täte nichts zur Sache, da ihn niemand kennt, blitzt es auf für fünf Minuten und vergeht, wie das Gesicht, gezeichnet in den Sandstrand.

Und ich sage zu mir, im Großen und Ganzen, also im Vergleich zu all dem Elend, das der Mensch sich antut, geht es mir doch stets gut! Das ist schon richtig und das ist schon ein Leben lang so. Glück im Komparativ, nenne ich das. Und doch bleibt stets das Restgefühl, nicht das zu tun, was wir eigentlich tun sollten?! Der Teufel steckt wahrlich im Detail! Stimmt es, dass wir nie erreicht haben, was wir eigentlich wollten? Oder haben wir nur nie gewusst, was wir wollten und sollten? Die echte Qual der Wahl: Und nun, nach all den Jahren, hat es ein Ende mit den Wahloptionen: Spaß haben unser neuer Imperativ! Im Angesicht der Endlichkeit schwinden langsam alle Optionen. Es bleibt uns nur der jämmerliche selbstgewählte Konkrete! Im Gegensatz zum verbleibenden Rest ist das Konkrete immer erbärmlich klein! Worüber dann freuen? Über das vermeintlich selbst erreichte, das Gewählte? Dass das Leben kein Wunschkonzert ist und trotzdem schön ist? Schande über den unter uns, der es leugnen will! Und gerade deswegen, weil wir nie eine Wahl hatten! Nur die Lüge, die von der Freiheit erzählte! Dabei hat mir nur kein Layout je gepasst. Man hat mir erzählt, der Individualismus habe gesiegt, als er bereits im Sterben lag. Heute hat man ihn schon beinahe überwunden. Man braucht ihn nur noch um Mr. Neutron bei Laune zu halten, wenn Mr. Neutron den Fernseher andreht, um sich wieder einmal in Sicherheit zu wiegen.

Es klingelt an der Tür. Überrascht öffne ich die Haustür. Ein Fernsehteam vom Dritten Programm steht in meinem Vorgarten. Meine fünf Minuten wären jetzt gekommen! Auf "Drei" solle ich meine Meinung in die Kamera sprechen. Vom ersten Blitzlicht getroffen, wende ich mich geblendet um und drücke von innen mit meinem ganzen Gewicht die Tür ins Schloss.

 
»Mr. Neutron«
     
M., The Many
16. Our Generation - Part 2 (Lost Revolution)

Die Zeitgeistin ist über uns hinweggefegt und hat uns blind gemacht - für uns selbst. Wir haben uns aus den Augen verloren, bei all dem Streben nach dem Vergeblichen, Unnützen, Überflüssigen. Hat der Teufel nicht längst gewonnen? Ich bin lange schon nicht mehr ich selbst!

Ein Möchtegern geworden, paralysiert ausharrend in seinem selbstgemachten Nest; oder sollte ich besser sagen, in seiner selbstgestrickten Hölle? In der er jede Nacht, gebadet in seinem Schweiß, erwacht?! Aus mir wurde eine blasse Kopie im Meer der Vielen! "We are all born originals - why is it so many of us die copies?" Und wir glaubten die Wette getrost eingehen zu können? Wie naiv wir waren, zu glauben diese Wette irgendwann gewinnen zu können? Freiheit ist nicht mehr als eine verlockende Illusion. Wir haben sie verehrt, und selbstverständlich blieb sie uns verwehrt. Wie konnten wir glauben, uns gelänge, die Freiheit zu etablieren, gerade für uns endlich sie zu verwirklichen? Und sieh die Zeichen heute! Sie deuten gerade in die andere Richtung! Sie wollen es doch noch viel enger. Sie stürzen sich Hals über Kopf in die Abhängigkeit. Wir wollen doch alle einen Platz an den Zitzen und an den Schläuchen, den Strippen, den Kabeln und Pipelines, den Leitungen und Nabelschnüren und an den Streams die uns das Leben bedeuten. Es ist auch gar nicht einsichtig, weshalb nicht? Unabhängigkeit gibt es nicht und wird es nicht geben, sie ist die größte Illusion des Menschen. Ein Traum, der zu keiner Zeit in Erfüllung gehen konnte: Alles hängt ab! "Irgendwie, irgendwo und irgendwann." Wir haben den Traum davon gehegt wie einen Gott, Götzen, einen Dämon!

Was ist das? Ich höre den Chor der Vielen resümieren. Der Chor der Vielen stärkt mir den Rücken mit seinen Hohngesängen über unsere verlorene Revolution. Er verhöhnt uns und sich selbst und glaubt sich damit erlöst. Uns selbst den Spiegel vorhalten, okay, das ist redlich, das können wir! Doch resignieren? "Boomer, das dürfen wir nicht! Nicht in die Gleichgültigkeit fallen, Boomer!" Nach der verlorenen Revolution, der verfehlten Ideale, desillusioniert von den Ideologien und falschen Propheten, stehen wir heute vor der Frage: Lohnt es sich nicht, auch heute noch aufzustehen und für etwas zu kämpfen, das größer ist, als zynisch die Banalitäten der Welt zu bestätigen? Ist die Zeit unverändert schlecht, so stehe auf für das Recht!

Kann das sein? "Lass es endlich sein!", höre ich sie singen. "Der Kampf ist verloren und er war seit jeher ein sinnloser, aufzehrender Kampf!", schallt es in den Zelten. "Lasst uns lieber den Rest noch genießen, der uns bleibt!", plärrt es, wie aus tausend Kehlen, "Wir sind die Vielen! Wer will uns belangen?"

OK, Boomer, wir sind die Vielen! Und wo sind wir gestrandet? In Statistiken? In der Schizophrenie? Am Pranger? In der Bedeutungslosigkeit? Auf der Sonnenseite des Lebens? Als letztes Gesicht, das am Strand vergeht? "So nicht, Boomer! Erinnere Dich Deiner Wahrheiten: It´s better to burn out than to fade away!" Haben wir es wirklich endgültig verkackt?

 
»Our Generation - Part 2«
     
M., The Devil, The Many
17. Smashed Paradise

Die Bücher sagen: "Die scheinbaren Pforten der Wahrnehmung ließen sich nicht durchschreiten, nichts Fassbares wurde erreichbar, kein anderes, neues Leben, man konnte nur auf etwas schauen, es waren nichts als Fenster, vielleicht, noch schlimmer, Spiegel." Da schlage ich das Buch zu. Ich fahre den Computer herunter. Ich drücke auf Off. Es ist Zeit! Wenn der Chor der Vielen verstummt, bin ich allein mit dem Ticken der Uhr.
"Ja nun ist mal Zeit genug verstrichen! Zeit Resümee zu ziehen, würde ich sagen, dass unser Handel endlich über die Bühne geht!"
Erschrocken fahre ich auf und sehe mich in meinem Arbeitszimmer um. Die Stimme kenne ich und will sie nicht wahrhaben.


"Was hast Du nun nicht alles angestellt, zu Dir zu finden. Wie lange soll es noch so gehen? Auch Du wirst nicht ewig leben. Und damit auch meine Gelegenheit verstrichen sein! Und komm´ mir nicht mit Eurem Midlife-Ding. Der Zenit längst schon überschritten ist. Es ist nicht das Resümee die Krise, es ist Dein lebenslanges Unvermögen, nur etwas bei Dir selbst zu finden! Was hast Du und Deines Gleichen nicht alles ausprobiert! Euren freien Willen - ohne Rücksicht auf Verluste - bis zum Exzess überspannt. In Verschwendung geschwelgt, bis zu Selbstauslöschung. Euch endlos befreit, und wenn es ernst wurde, Euch in der Herde geduckt. Und zum Spaß nebenbei noch den Tod herausgefordert, Chapeau! Ihr habt Euch selbst mehr vertraut als Gott! Seht an! Dafür gebührt Euch mein Respekt! Wie im Rausch Euch - gegen jede Realität - den Illusionen hingegeben. Euren Fortschritt nur des Fortschritts wegen betrieben, als gebe es kein morgen. Euch selbst nie wirklich gesucht, sondern nur selbst ausgebeutet, um Euch feiern zu können, und endlich Euch Eurer versagten Mutterliebe gewiss zu werden! Und dabei habt ihr Euren freien Willen gänzlich unbemerkt der Masse geopfert! Oder, was von alledem warst nun Du selbst? Was davon war es Dir wert, zu leben? Oder soll ich besser sagen, welche Rolle war die Deines Lebens?"
Ein diabolisches Kichern durchfährt den Raum.

"Lass das, Du Idiot!", versuche ich mich der Verhöhnung des Teufels zu erwehren.
"Mit Idiot bin ich gut bedient, da gab es schon Härteres, was ich mir anhören musste." Er kichert amüsiert vor sich hin. "Langsam habe ich das Gefühl ich werde nicht mehr ernst genommen! Ich bin der Teufel, Herrgott nochmal! Was hast Du erwartet? Dass ich mich aufs Altenteil zurückziehe und Euch im Paradies allein belasse?"
"Wer hat mich denn glauben lassen mein echtes Leben zu leben?", gehe ich auf den Spiegel los, in dem ich vermeine den Teufel wahrgenommen zu haben, "Du hattest da stets deine Finger im Spiel, gib es zu, das ist wider die Regeln!"
"Ich habe Dir lediglich den Spiegel vorgehalten. Ich wollte Dich schützen, indem ich dich hinwies auf Deine Rollen, denen Du verfallen warst."
"Du hast mich erst dazu verführt, sie mir angeboten, bis ich nicht wiederstehen konnte."
"Jeden Kampf verloren? In jede Rolle geschlüpft, die man ihm offerierte, gespielt, mehr schlecht als recht? Und jetzt am Ende noch jammern? Ich bitte Euch, das soll es gewesen sein?"
"Niemand kann mir Faulheit nachsagen!"
"Aber auch nicht sein Gegenteil. Außerdem, das war nicht Teil des Deals! Angestrengt und nichts erreicht ist auch verloren. Das mit dem "Win-Win" ist auch so ein Unding Eurer Zeit. Zufrieden muss man sein, wenn bei einem Handel niemand verliert!? Wie naiv und lächerlich! Das Leben ist ein Nehmen und kein Geben. Und besser man nimmt sich bei Zeiten! Da waren andere schon weiter als Ihr."
"Ich sehe ein, nur eine Rolle zu spielen und ein kostbares Leben als Rolle nur zu durchleben, lässt mir das eine Wahl!"
"Ach sieh an, das Unschuldslamm. Genau an diesem Punkte hättet ihr vielleicht ansetzen können. Aber kritischer Geist und Verzicht ist auch Eure Sache längst nicht mehr. Ihr glaubtet wirklich das Paradies ist allein Eures?! Ein für alle Male? Ausgerechnet jetzt nach den tausenden von Jahren? Wer glaubt ihr, dass ihr seid? Da hatte ich, mit Verlaub, noch immer ein Wörtchen mitzureden!"
Was ist mit mir? Sehe ich in den Spiegel, glotzt mich der Teufel an, der verdammt nochmal aussieht, als sei ich es selbst! Den, den ich immer für mich Selbst hielt, ist und war nur Schauspieler meiner selbst, der an seine eigene Maske glaubt?! Ich kann die Maske nicht mehr von mir unterscheiden, nicht loswerden, nicht verändern. Es wird nichts bleiben, als sie zu zerstören! Selbst wenn ich mich dabei selbst zerstören muss! Ich reiße so fest ich mir selbst weh zu tun vermag an meiner Maske, die Eins geworden scheint mit mir.
"Hilf mir, Clio! Reiß mir die Maske vom Kopf!"

Auch mit Hilfe von Captain Clio will es nicht gelingen, die Maske von mir zu scheiden: "Alles vergeblich! Ich muss den letzten Schritt gehen!"
"So nicht, Boomer!" ruft der Teufel entsetzt, "So kommst Du mir nicht davon! - Zuerst Deine Seele! Danach kannst Du machen, was Du nicht lassen willst. Gestehe, dass ich gewonnen habe! Du hast vergeblich versucht, Du selbst zu sein! Du bist ein Mittläufer geworden, ein Massenmensch, ein Herdentier, wie alle anderen mit Dir! Leere Kopien, und zusammen habt ihr die Welt auf dem Gewissen! Dafür hole ich mir mit Verlaub nun meine Wettschulden ein!"

Wo bin ich nur gelandet? Angesichts meiner vertanen Chance und der ausweglosen Situation mein Leben so zu leben, wie ich es für richtig hielt, erfasst mich der blanke Zorn. Und ehe es der Teufel holt, zerschlage ich eigenhändig mein vermeintliches Paradies! Und sei es das letzte, das ich selbstbestimmt unternehme. Ich werde wenigstens selbst mich ein letztes Mal von der Bühne verabschieden.
"Nun, es ist Zeit, zu gehen!"
Die Vielen klatschen Beifall und zollen selbstgefällig stillen Respekt, obgleich sie allesamt sich lieber im Dunkeln halten. Sie tuscheln beschämt und lehnen sich bequem zurück. Er ist sehr still geworden, der Chor der Vielen.
"Halt! Stopp! Was meinst Du damit?", ruft der Teufel zornentbrannt und entweicht aus dem zerborstenen Spiegel.
"So nicht, Boomer! So haben wir nicht gewettet!"

 
»Smashed Paradise«
     
M., The Devil, Betula
18. No Second Chance

"Zu glauben, dass er authentisch ist mit sich selbst, nur wenn er anders sei, als die anderen, war einfach nur dumm. Wenn genau das nämlich auch alle anderen glauben, dann …, nun, was dann? Individuenlogik!", murmelte der Teufel vor sich hin.

Ich ahnte nichts von der Existenz und der Notwendigkeit der Masken aller anderen, wie ich auch nichts ahnte von der meinen und, dass ich immer einer bedurfte, so sehr ich auch glaubte ihr zu entsagen. Weil der Teufel mich stets glauben machte, es sei jeweils mein wahres, mein ganz eigenes Gesicht. Ich und meine Maske sind also über die Jahre "Eins" geworden. Sie lässt sich nun nicht einfach abnehmen. Die simple wie grausame Wahrheit ist, sie lässt sich nur zusammen mit mir selbst vernichten!

"Wie nur kann ich Dich abhalten? Diese Dummheit ist unbegreiflich. Purer Eifer und eine erneute Täuschung", säuselte der Teufel, der in Gestalt von Betula neben mir auf dem Beifahrersitz hockte. Ich fahre mit meinem Auto hinaus zu "unserer" Klippe. Hier stand ich oft mit Betula, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Nun zünde ich mir eine letzte Zigarette an, sehe ein letztes Mal durch die Fahnen des Rauchs die Farben einer unbeschreiblichen untergehenden Sonne zerlaufen. Heute soll es auch mein Untergang werden. Da muss ich spontan kurz lächeln, da ich die glücklichen Momente mit dem Mädchen meiner Träume erinnere. Diesmal allein, und dennoch fühle ich Betula neben mir auf dem Beifahrersitz. In ihren Augen erblicke ich das verheißungsvolle Funkeln, und bin keineswegs mehr überrascht, als ich den Teufel darin erkenne. Nein, es macht mir gar nichts aus. "Was ist? Nichts mehr zu lachen?!" werfe ich ihm zynisch entgegen. Der Teufel schickt sich jetzt an, unter Schmerzen krümmend mich anzuflehen: "Überdenke Deinen Plan! Mein Bester, all mein Mühen, mich ins Ich zu schleusen, soll zum Scheitern verdammt sein? Wenn Du dich jetzt um-bringst, war alles umsonst! Dein Bemühen ebenso wie meines. Ich bin das Sollen, und Du und die Vielen ihr habt mich verabscheut, so blieb mir doch nichts Anderes zu tun! So war ich doch versucht, mich als Ich getarnt einzuschleusen. In ein jedes Selbst habe ich es beinahe geschafft, sodass ein Sollen überflüssig ward! Ich bin das Ich, das Dir befiehlt, Du selbst zu sein! Drum lass es sein, sonst sind wir beide nichts!"
"Lass es, Du hast doch schon gewonnen. Auch wenn Dir jetzt der Gewinn abhandenkommt und diesmal keine Seele für Dich herausspringt. Sieh es sportlich ein wenig Verzicht kann auch Dir nicht schaden. Der Ehre halber, ach so etwas kennst Du wohl nicht…. Eine Win-Win-Situation, würden wir Boomer sagen."

Mit den letzten Worten schließe ich beinahe zufrieden meine Augen, als könnte ich vorab dem Treiben ein Ende setzen und das Trugbild dieses Kretins, der sich nicht scheute, mir meine Erinnerungen zu schänden, einfach ausknipsen. Dann werfe ich stoisch die Zigarette aus dem offenen Fenster, wie einst James Dean vor dem Hasenfußrennen, und gebe Gas. Meine letzte Rolle! Der Wagen heult auf, rast Richtung Meer und schießt, möglichst lange der Schwerkraft trotzend, in perfektem Bogen über die Klippe. Was nun der Teufel in jener Situation tat, habe ich nicht mitbekommen.

 
»No Second Chance«

   
M., The Good Fairies, Zeitgeistin
19. Fault

Nun liege ich hier in märchenhafter Kulisse auf dem Meeresgrund und denke, alles nur ein großes Missverständnis? Trügt mich meine Erinnerung? Wieso bleibt mir nicht die Luft weg? Ich werde beatmet. Mir ist als erwachte ich gerade langsam und tauchte empor aus einem Traum, wie aus dem Meer der Träume. Warum schwebe ich hier gen Licht? Und wo lag der Fehler wirklich? Haben wir es verkackt? Unser Leben, nein unser Lebenswerk, die anderen mitgerissen? Meine Narkose schwindet, ich sehe Feen, die um mein Bett tanzen in transparenten Kleidern, beinahe nackt, erinnern sie an Krankenschwestern. Sie stehen für mich bereit, umringen mich, verbreiten eine frohe Stimmung. Die Feen feiern meine Wiederkehr!?

Doch dann Dunkel und Schwindel, ich sinke zurück, hinab ins Unbestimmte, verharre schwerelos in blauer Nacht, feuchtnassgebettet im Dunkel des Ozeans. An der Grenze zum Licht schwebe ich dahin, zwischen von mir achtlos abgelegte Gegenstände meines Daseins. Allesamt stammen sie aus meinem Leben. Jeder von ihnen gehört zu irgendeinem Moment meines Lebens. Jedes Teil stammt aus einer Reihe von Situationen, die ich nicht mehr in der Lage bin zu benennen, die ich aber tief zu mir gehörig verorte. Ich höre wieder die guten Feen singen, in weiter Ferne mit für mich beinahe unwahrnehmbar hohen Stimmen. Licht durchdringt mit jedem Ton die ewige Nacht, es öffnet sich der Ozean für mich. Die Feen im Kreis formiert blicken durch jene Öffnung, die sie selbst zu mir herunter getrieben haben, sodass mit einem Mal mir auch ganz gewöhnliches Atmen wieder möglich wird. Ich bin wach, aber zu schwach zum Sprechen, an jeglicher Äußerung gehindert, fühle ich meine Lippen sich vergeblich formieren in dem Versuch wieder Kontakt aufzunehmen. Doch bleibe ich stumm, tausend Meilen unter dem Meer. Allein die Zeitgeistin meint lakonisch: "Ich halte das 20. Jarhundert in seiner Gesamtheit für einen Fehler."

 

 
 
     

 
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  PART 5  
     
     
     
     
     
     
     

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