WIR
SCHREIBEN DAS JAHR 1964. DIE WELT HAT EINE BLÜHENDE ZUKUNFT VOR
SICH. M. IST VOLLER IDEALE. ER IST EINER VON DEN VIELEN.
Personen
Songs
The
Child, The Devil
4. The Devil
Lies Under My Bed
Also, ich: Ich
bin ein Kind des 20. Jahrhundert - wie der Zufall es will
- im vierundsechzigsten Jahr geboren. Meine Wiege stand im
Grünen und die Sommer waren heiß. Die Glocken klangen
vertraut vom nahen Kirchturm herüber und die Tage nahmen
ihren bedächtigen, regelmäßigen Lauf. Man
prophezeite mir, es sollte nicht viel geschehen, wenn ich
mich stets an die mir zugedachten Pflichten hielte. Und sofort
stellte sich mir die erste Frage, auf die ich nie eine Antwort
bekommen sollte: Wie konnte man nur immer wissen, was das
richtige zu tun wäre und was man denn konkret zu tun
hatte? Keiner sagte einem klar und deutlich, was das Leben
bringen sollte. Nur, dass man nicht abweichen durfte, das
schien ausgemacht! Eigenlob stank noch, und der Esel nannte
sich immer zuerst! Ich also, kam immer erst danach. Alles
war in Andeutungen verpackt und selbst das, was man Aufklärung
nannte, kam in Verschlüsselungen daher. Als sprächen
die Erwachsenen allwissend in geheimer Erwachsenensprache,
die man erst zur Gänze verstehen würde, wenn man
erwachsen sein würde. Bis dahin bestand die Welt hauptsächlich
aus Metaphysik, ohne dass wir wussten, was das war. Jeder
spielte seine Rolle todernst mit einer Selbstverständlichkeit,
die einen nicht im Entferntesten daran denken ließen,
dass etwas nicht so sein könnte, wie es war. Nur unerklärlich
für mich blieb, woher jedermann ganz selbstredend zu
wissen schien, was er zu tun hatte. Ein Mann muss tun, was
er tun muss, wie es so dumm hieß! Und selbst einige
meiner Schulkollegen taten ständig so, als wäre
alles klar.
Die größte Show im Dorf allerdings fand immer am
Sonntag statt. Da musste jeder hin, daran war nicht zu rütteln.
Zur Kirche hatte man zu gehen, egal wie alt und erfahren man
war. Das Heilige besteht stets aus Grundsätzlichem und
brutaler Konsequenz im Handeln. Man droht dort gerne! Dort,
wo die wenigsten Abweichungen genehmigt sind, dort wird es
am heiligsten. Das war beim Vater und beim Heiligen Vater,
der aber nur immer seine Vertreter schickte. Man lernte schnell
die Welt von Oben nach Unten zu lesen und begriff dabei instinktiv,
dass Unten dort war, wo man sich selbst befand. Die einzige
Hoffnung bot offenbar das Älterwerden. Wenn es eine Aussicht
auf Aufstieg in der Hierarchie der Welt geben sollte, dann
lag sie vor allem im Altern. So hieß es endlich erwachsen
werden, dann musste es gut sein! Um das anständig über
die Bühne zu bekommen, sollte man bis dahin die Regeln
befolgen.
Jede
Nacht fragte ich mich, ob ich heute wohl alles richtiggemacht
hatte. Mein Verhalten niemandem Anlass zur Beanstandung gegeben
hatte. Es waren mir die Schlimmsten Moment des Tages; den Tag
Revue passierend erkennen zu müssen, dass ich jemanden
ungerecht oder schlecht behandelt hatte. Das Tragische dabei
war: Man konnte nie wissen, sich nie sicher sein, alles war
Vermutung! Das war wie gemacht, um größtmögliche
Selbstdisziplin zu erzeugen, was mir damals allerdings keineswegs
bewusst war. Geredet wurde eh nicht viel auf dem Dorf und das
Wenige bestand aus Andeutungen für den Kreis der "Wissenden",
zudem man sich dazu zählen konnte oder eben nicht. Oder
zu denjenigen, die so taten, als wüssten sie, um was es
geht im Leben. Wäre man aufrichtig gewesen, hätte
die Mehrheit zugeben müssen, dass sie von nichts wusste,
und alle nur aus Unsicherheit zur Maskerade verleitet waren.
Damals wurde mir beigebracht, dass Wissen zu heucheln, Zugehörigkeit
sichert. Und das ist wohl eine der wenigen allgemeinen Wahrheiten,
nur hatte ich das Gefühl, Zugehörigkeit war mir nicht
so wichtig, wie die Wahrheit, womit die meisten am wenigsten
rechneten. So sah ich, wie sich mir Spielraum eröffnete,
die Unsicherheit zwar vermehrte, aber mir die Möglichkeit
offenhielt, die anderen das ein oder andere Mal vor den Kopf
zu stoßen. Wer nicht um jeden Preis dazugehören will,
den kann man nicht erpressen! Des nachts allerdings zu spekulieren,
ob man auf dem rechten Weg sei, bekam mir gar nicht gut. Jede
Nacht wurde ich von Versagensängsten heimgesucht. Das Kind
kämpfte mit seinem Gewissen. und damit, dass es regelmäßig
das Bett vollpinkelte. Welcher Sinn steckt überhaupt dahinter,
dass ich existierte? Wäre nicht alle Unsicherheit aufgehoben,
wenn es mich gar nicht gäbe? Weshalb nur hat man mich ohne
meinen Willen hierher - auf diese Welt - gebracht, wenn ich
nun hier in meinem Bett vor Angst jede Nacht beinahe sterben
sollte, oder wollte?
Da musste wohl Gott dahinterstecken, wie man so sagte, dessen
Geschichten ich sonntags anhören musste, in der Hoffnung
auf Erlösung - wovon auch immer! Und gerade noch ehe mein
Gedankenkarussell sich überschlagen sollte, raunte mir
dann schließlich diese Stimme zu, die durch die Kissen
direkt in meinen Kopf drang. Es schauderte mich und gleichzeitig
klangen die Worte warm und von Ruhe getragen, dass sie mich
vollständig durchdrangen. Es faszinierte mich und verhieß
mir - da jemand zu mir sprach -, dass ich doch nicht allein
war, es jemanden gab, der es gut mit mir meinte. Er sei der
Lichtbringer, dessen Helligkeit mir die Rätsel erhellen
würden, die mich umtrieben. Der mir die Nächte erträglich
und meinen Kopf erleichtern würde. Er, der Teufel, wüsste
schließlich, um was es hier, in einem irdischen Leben,
geht! Endlich! Das Angebot war kaum auszuschlagen. Das war die
Stimme, die offenbar um meine Ängste und Nöte wusste!
Die nicht immer um den heißen Brei herumredete! Würde
der Teufel endlich die Welt beim Namen nennen? Der Teufel machte
mir bald keine Angst, im Gegenteil, der Teufel wurde mein Verbündeter. "Ich zeige Dir den richtigen Weg, für ein gelungenes
Leben, wenn Du mir versprichst ihn niemals wieder zu verlassen!"
Das hatte ich nicht vor! Alles in meiner Macht Stehende gedachte
ich zu tun! Also willigte ich ein und versprach seinen Rat für
immer im Herzen zu tragen. So sprach der Teufel: "Glaub
nicht an den Unsinn, den die Prediger Dir prophezeien! Tue stets
nur, was Du unbedingt willst! Höre auf Dein Herz und folge
Deinen Träumen! Darauf geb´ ich Dir ganz kostenlos
mein Wort und Garantie! Verlässt Du allerdings vorschnell
meinen Weg, weil er Dir zu mühsam ist, dann ist sie mein,
Dein kleines Seelchen!"
Den Satz schloss er mit einem teuflischen Kichern, aber das
hat mich schon nicht mehr interessiert. Ich war der schlaflosen
Nächte und Alpträume so überdrüssig, dass
ich nichts lieber wollte, als endlich meinen Frieden finden.
Ich wollte unbedingt, diesen Rat befolgen. Statt des Aberglaubens,
sollte ich wissen, so der Teufel, gibt es nur den einen wahren
Glauben, den "Glaube an dich selbst! Sei Du selbst!
- Dann wirst Du Deinen Platz finden!" - Das werde ich unbedingt
versuchen - für mein Leben!
»The
Devil Lies Under My Bed«
M.,
The Many
5. When It
Was Sixty-Four
Die Eltern dachten
wohl - wie so viele -, sie hätten den neuen Heiland geboren.
Zumindest schienen die Sprösslinge der Nachkriegsgeneration
mehr zu sein, als nur Nachwuchs. Die Wolken einer dunklen
Vergangenheit schienen sich verzogen zu haben, der Himmel
war ununterbrochen blau und wir lagen auf weißen Laken
gebettet im grünen Gras der Vorstadtsiedlungen. Unsere
Mütter schoben uns stolz in futuristisch gestalteten
Kinderwägen vor sich her, als sollten wir frühestmöglich
eine Ahnung von unserer Weltraum-Mission bekommen. So führten
sie uns auf Spielplätze und setzten uns in Karussells,
die die Formen und Farben des technischen Fortschritts zitierten.
Sei es, als weiße Sputnik-Kugeln oder schwarz-weiße
Apollo-Zigarren. Hier und jetzt schien die Zukunft ihren Anfang
zu haben und wir sollten offensichtlich die Protagonisten
werden. Noch nie galt die Sorge so sehr der Zukunft, wie nach
dem schrecklichen Ereignis des Zweiten Weltkrieges. Die Großeltern
waren die Zeugen des Schreckens geworden und deren Kinder
wollten nichts mehr, als das Grauen hinter sich lassen. So
wandte man sich nach vorn und musste die Kleinsten vorsichtshalber
vor allem und jedem warnen. Keine Sorge schien unangebracht,
um sie uns mit ins Säckchen zu packen den wir auf unseren
Weg mitbekamen. Mein Vater war mit den Zwängen und Entbehrungen
des Krieges aufgewachsen, aber war deshalb alles mit Vorsicht
abzustempeln, wie von einem unsichtbaren Gerichtsvollzieher,
noch ehe wir es selbst mit eigenen Sinnen erfahren konnten?
So geriet unsere Welt manchmal ziemlich kleinteilig, bei aller
Fortschrittsgläubigkeit. Unsere Welt erschien deshalb
als eine verheimlichte und verborgene und motivierte uns um
so mehr unser Leben deren Aufdeckung zu widmen. Wir waren
diejenigen, die sie wiederentdecken wollten. Und am Horizont
dämmerte bereits Befreiung herauf, die in Form von Rock´n´Roll
aus den Transistorradios unserer Eltern schallte. Wo lag eigentlich
dieses San Francisco, wo ich hinkommen sollte?
Um
mich von der Grübelei der Nächte abzulenken freute
ich mich auf den nächsten Nachmittag! Es unterschieden
sich die Nachmittage wesentlich von den Vormittagen, die ich
in der Schule zubrachte. Der Vorzug der Schule war es lediglich,
dass man dort Freunde traf und sich für die Nachmittage
verabreden konnte, für neue Abenteuer und Spiele. Ein
weiterer nicht unwesentlicher Nebeneffekt war es, dass man
sich in der Nähe von Mädchen aufhalten konnte, ohne
sich verdächtig zu machen. Mir war es zwar nie je in
den Sinn gekommen, ein Mädchen zum nachmittäglichen
Spiel einzuladen, aber mir war auch nicht klar, weshalb das
so war. Es fühlte sich lediglich so an, als ginge es
im Zusammentreffen mit den Mädchen irgendwie anders zu
und eine Verabredung deshalb unpassend wäre. Die Buben
spielten mit den Buben, die Mädchen mit den Mädchen,
so war es auf dem Pausenhof. Lediglich unterbrochen von gegenseitigen
Störungen und Hänseleien. Dafür war die Schule
eigentlich ganz amüsant. Doch Lehrer konnte ich nie ausstehen.
Sie gehörten der einschüchternden Fraktion an. Mit
Einschüchterung operierten Väter, Pfarrer und eben
Lehrer. Ihr sublimstes Mittel war, in Rätseln von der
Zukunft zu sprechen und in Andeutungen auf einen Weg hinzuweisen,
den man vermeintlich zu gehen hatte. Das schien ihre Mission,
aber gar nicht mein Ding zu sein. Das machte sie mir verdächtig.
Sie taten es mit einer stillschweigenden Verbundenheit und
mit solchem Nachdruck, dass man erstmal gar nicht auf die
Idee gekommen war, dass es noch einen anderen Weg geben könnte,
um älter zu werden. Ich hatte das Gefühl, eher würde
man sterben, wenn man den "richtigen" Weg verließe:
"Tue das, was man von dir verlangt und alles wird gut!
Auch dann, wenn du nicht weißt, was das sein soll!"
Nachmittags
waren beide Eltern in der Arbeit und ich verbrachte meine
glücklichsten Stunden. Ich liebte den großen Garten
der Eltern und der Großeltern, mit denen wir zusammen
in Nachbarschaft wohnten, in dem ich meine Spiele und eigenen
Geschichten leben konnte. Das war doch eigentlich schon mein
Leben! Weshalb sollte da noch etwas Anderes kommen, auf das
ich zusteuern musste? Ich sah keine Notwendigkeit. Um wie
vieles reicher war meine Welt, als die eigentliche?! Da war
ich der Held, der Indianerhäuptling, der Supermann, der
Kapitän und Kommissar. Niemand als meine Phantasie konnte
mich bremsen. Ich liebte diese Nachmittage im Sommer und wünschte
sie würden nie vergehen. Ich liebte den Geruch von gemähtem
Gras, von gebackenem Kuchen und von Kokossonnenmilch. Beinahe
täglich verbrachte ich diese Stunden mit Freunden und
vergaß dabei zumeist die Zeit. Irgendwie ahnte ich,
dass das das Glück sein musste, von dem so oft die Rede
war.
Das alles ereignete sich in den verrückten Siebzigern:
Alles sollte besser, gerechter und bunter werden! Sogar meine
Oma dekorierte ihre Wohnung auf Orange um. Und das lag daran,
dass 1968 die langhaarigen Hippies die Weltherrschaft übernommen
hatten und der Mond zum Bewohnen nahe gerückt war. Vorausgegangen
waren die Goldenen Sechzigern, in denen ich geboren war. In
mir - also dem Kind, das man den Babyboomern zurechnen sollte
- setzten alle größte Hoffnung. Ich schien ein
Kind einer neuen Ära, "the only one", allerdings
gerade so einzigartig, wie alle anderen eineinhalb Millionen
Kinder, die allein in Deutschland in meinem Jahr geboren wurden:
1964. Schnell war uns klar: Wir werden es sein, die den Mond
später einmal mit unseren Glaskuppelhäusern und
Raketenlandeplätzen besiedeln werden. Unsere Kinder werden
dereinst mit ihren Elektrorollern in Mondkratern ihre Runden
drehen. Bis dahin sind sämtliche Krankheiten, wenn nicht
ausgerottet, so doch zumindest jederzeit heilbar. Das Mobiltelefon
werden wir ebenfalls erfinden, wie den Tricorder zur Analyse
jedes Problems, das uns noch geblieben sein wird. Anything
goes hieß unsere Devise.
Doch ich entdeckte auch, dass es mehr Welten gab, als nur
diese einzige Zumutung, die mir meine Zeit zugedacht hatte.
Hier also, hatten sie mich ausgesetzt! Aber noch hatte ich
ein wenig Zeit, wie mir schien. Und die nahm unversehens Fahrt
auf.
»When
It Was Sixty-Four«
M.,
Mr. MTV
6a. Y Kids
R Watching TV
Eine verheißende
Ahnung von der Vielzahl der Welten, die möglich waren, bekam
ich, natürlich durch meinen Erstkontakt mit dem Buch. Mit
Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan und mit Old Shatterhand
durch den Wilden Westen. Zu den Schatzinseln und verlassensten
Orten, ferne Welten wollten erkundet und befahren werden.
Eine der größten Versuchungen allerdings hielt die Kiste im
Wohnzimmer bereit. Das Fernsehen bot die Möglichkeit einer
nahezu realen zweiten Wirklichkeit von solcher Nähe und Direktheit,
dass sie mich nicht wieder losließ. Auf plausible Art und
Weise konnte man tatsächlich erkennen, dass eigentlich alles
möglich war, was man sich auszudenken vermochte. Mein kleines
Zimmer und mein Garten beherbergten nur meine in mir gefangenen
Fantasien, doch mit dem Fernsehen waren doch die Optionen
für jedermann sichtbar. Wir lebten offensichtlich in einer
Welt der Möglichkeiten. Die Sehnsuchtsorte hießen auf einmal
Texas oder Kalifornien und in Städten wie New York und L.A.
schienen sich tatsächlich Dinge zu ereignen, von denen man
hier keine Ahnung zu haben schien. Und da war auch wieder
dieses San Francisco! Auf dessen Straßen die Autos Luftsprünge
machten und die Cops - wie die Polizisten dort hießen - nicht
lange fackelten. Allein die Namen klangen wie Musik. Da ritten
Little Joe und seine Cartwright-Brüder über ihre unendliche
Bonanza-Ranch. Ich liebte allein den Vorspann der Serie, wenn
die bildschirmfüllende Landkarte in der Mitte Feuer fing.
Und dazu eine unvergessliche Western-Melodie. Wie oft habe
ich das nachgestellt. Es ging aber noch weiter: Der Weltraum;
und sein Zugang stand im Wohnzimmer. Samstagabend entführte
mich Raumschiff Enterprise in Welten, die angeblich nie ein
Mensch zuvor gesehen hatte! Es gab sie also, nicht nur in
meinem Kopf die anderen Welten. Und welche, war für mich?
Hatte ich eine Chance zu wählen, oder hatte man mich einfach
hineingeworfen? In der Schule prahlte man dann mit den Fernsehserien
und Filmen, die man gesehen hatte, und je später deren Sendetermine,
desto mehr konnte man sich Respekt verschaffen. Je blutrünstiger
das Gesehene, umso größer der Erwachsenenbonus! Edgar Wallace,
stand ganz oben im Ranking. Die Cowboys, Sheriffs, Detektive,
Kommissare und Edel-Gangster ließen träumen, schaudern und
machten hoffnungsfroh auf ein spannendes Anderswo, jenseits
des täglichen Zeitverschwendens.
»Y
Kids R Watching TV«
M.,
Captain Clio, Betula
6. I Might
Be Your Hero
Wenn ich dann einmal
mehr des nachts erwachte und zitternd vor Angst in die Dunkelheit
stierte, stürzte ich mich in meiner Not auf den Stapel mit
Comicheften, der stets rettend in Reichweite lag. Niemand
anderer wollte ich sein, als ein solcher Held, wie in diesen
bunten Bildern beschrieben. Über Kräfte verfügen, die die
Welt vermochten aus ihren Angeln zu heben, das war mein Traum
in diesen Nächten. So ging ich auf Reisen mit Captain Clio,
drang in Galaxien vor, deren Namen ich noch nie gehört hatte
und kehrt gestählt und unverwundbar aus dem Universum zurück,
um zu retten, was mir lieb und teuer war. Captain Clio war
mein unerschütterlicher Weggefährte und er sollte es noch
lange bleiben! Er stand mir bei, auf meinen Missionen für
das Gute in der Welt. So würden alle irgendwann zu spüren
bekommen, was es hieße ungerecht zu sein! Ich wartete nur
auf den Moment, da sich alles Bisherige in Wohlgefallen auflöste
und wir beide die Kulissen durchbrechen würden. Ich endlich
mein Cape auspacken konnte, um den Kampf aufzunehmen, gegen
alles und jedermann, die es nicht mit der Gerechtigkeit hielten.
Ich war drauf und dran wie Batman des nachts meinen Freunden
beizustehen, meine Liebe und die Welt zu retten und das Banale
und Böse aus ihr zu vertreiben. Dann würde auch Betula endlich
erkennen, wozu ich im Stande war. Sie würde mich vorbehaltlos
lieben und meine Heldentaten verehren. Betula ging seit kurzem
mit mir in die selbe Klasse. Sie hatte das weiche Gesicht
eines Engels und endlos langes Haare, und wenn mich ihre großen
Augen eines Blickes würdigten, tat sich für mich eine weitere
ganz eigene Welt auf, die mich berührte, wie nichts zuvor.
Sie schien mir die Gewissheit zu geben, dass es etwas gibt,
für das es sich zu leben lohnt.
Die
Chancen, dass diese Träumereien wahr werden würden, standen
eigentlich nicht schlecht. Schließlich kamen wir aus dem Space-Age
und die Zahl 2000 lockte mit den Verheißungen eines neuen
Jahrtausends! Greifbar nahe stand uns die Zukunft. Wir konnten
also noch Teil dieser Geschichten werden! Die Möglichkeit
schien historisch und nur uns gegeben. Das Universum wächst
mit jedem Tag und so wuchs auch meines. Es taten sich regelmäßig
weitere Echokammern auf, zu denen ich Zugang suchte und in
denen ich mich versuchte häuslich einzurichten. Die Musik
weckte Emotionen in mir, wie es sonst nur Betula vermochte.
Das Zeichnen und Beobachten lockte mich und dass ich mich
für das Lesen begeisterte, hatte den ganz banalen Vorteil,
es beeindruckte meine Mutter. So sehr, dass sie mir bald ungefragt
den ersten Karl May-Band zuschob und im Folgenden immer wieder
einen nachlegte. Ich verschlang diese Abenteuergeschichten,
und wenn ich fleißig las - was ich mit Begeisterung und zunehmender
Lust tat -, gab sie mir ab und an auch einen dieser faszinierenden
Comic-Bände, die man am Bahnhofskiosk erstehen konnte, obendrauf.
»I
Might Be Your Hero«
M.,
The Many
7. Never Mind
"Du brauchst einen
Plan, was Du einmal werden willst!", hieß es mit einem
Mal und der Auftrag zielte keineswegs auf ein Heldendasein
ab. Niemand fragte schließlich, wer ich einmal werden
will. Mir machte es Angst, dass offenbar alle anderen einen
solchen Plan haben sollten. Da mir anscheinend niemand bei
dessen Entwicklung mit dem nötigen Verständnis bei Seite stehen
wollte, beobachtete ich, was die anderen taten. Da offensichtlich
alle an dieser Welt ihren Spaß hatten, ging ich davon aus,
dass mit mir etwas nicht stimmen konnte. Auf irgendeine Weise
war ich scheinbar ein Andersdenkender geworden. So fühlt es
sich jedenfalls an, wenn man nicht weiß: "Ist alles so toll,
wie es scheint?" Um meiner Dissonanz mit dem Geschehen um
mich her Ausdruck zu geben, kleidete ich mich schwarz, trug
mein Haar lang, und verweigerte mich zunehmend den üblichen
Ritualen. Scheint es nur mir als unaufrichtig, wie sie sich
verhalten und hinterfragt denn niemand, ob es gut oder falsch
ist, alles so zu tun, wie "man" es macht. Ich distanzierte
mich von dem "Man" und den Vielen. Verabredeten
sich die anderen doch scheinbar nur zu sinnlosen Feiern, auf
denen mit Smalltalk Freundschaft geheuchelt wurde. Am Ende
aber schien jeder und jede dennoch ihre Erfüllung gefunden
zu haben. War alles nur Oberfläche, oder war die Oberfläche
schon alles? Als gäbe es eine Geheimsprache, die mir niemand
beigebracht hatte. Waren das die Praktiken und waren Täuschen
und Überlisten wiedererwarten doch eine Tugend? Während die
anderen Partys veranstalten, wunderte ich mich über Freud
und Leid in dieser Welt und hing meinen Frauenträumen nach.
Langsam baute sich eine innere Hülle auf, die mich schützen
sollte und die mich verbarg hinter einer Maske aus Coolness
und Souveränität. Ich simulierte Unabhängigkeit. War man mir
damals begegnet und hatte man mich gefragt, was ich mit meinem
Leben anfangen will, so entgegnete ich: "Kein´ Plan!" Was
nur konsequent war in einer Zeit, da die gängige Parole lautete:
"No future!"
Ob
es Trotz war oder nicht, ich habe es so gefühlt. Ich lief durch
die Straßen und steckte nur kurz meine Nase in die Kneipen,
Discos und Clubs in denen Freude und Ausgelassenheit zu herrschen
schienen. Ist das Leben ein Als ob? Gibt es nirgendwo einen
festen Grund? Lebten wir deshalb in diesen doppelten Welten,
und war das der eigentliche Grund für den Drogenkonsum? Es war
nicht cool, es war ein letzter Ausweg. Insgeheim stellte sich
jeder die gleichen Fragen! Die Kunst lag nur im angemessenen
Verdrängen. Was ist mit den Werten und der Gerechtigkeit, was
in jeder der Geschichten, die man sich erzählte, das höchste
zu erreichende Gut waren. Niemanden schien sich im echten Leben
darum zu scheren oder auch nur zu interessieren. Nirgendwo hielt
es mich! Ich sah überall Krieg und Streit, Anmaßung und Leid,
Hunger, Sex und Unterdrückung, während allerorten von Liebe,
Verständnis und gegenseitiger Hilfe gepredigt wurde! Nein, ich
war fremd in dieser Welt, in der sich alle darum bemühten sich
zu amüsieren. Das Leben musste ein riesiger Spaß sein, und war
nur mir so fremd? Meine Freunde wurden weniger, sie hielten
mich für arrogant. Ich reagierte mit einem verächtlichen "Fuck
Off", und die Spirale in die Einsamkeit nahm ihren Lauf. Aber
was machte das Leben lebenswert, wenn ich nicht so sein konnte,
wie ich war?! Jedes Mal, wenn ich so dachte, erschein allerdings
sofort ein großes Aber: Vielleicht wusste ich einfach nicht,
wie ich wirklich war und was ich zu tun hatte! Wer sagte mir,
ob ich nicht über jenen Schatten springen musste, der sich mir
in den Weg stellt, jeden Tag wieder, dann würde sich auch mir
das Glück erschließen. Nur einer blieb für immer: Der Zweifel.
Niemals mich verleugnen - das stand ganz oben in meinen Geboten.
Das durfte nicht geschehen, ich musste immer ich selbst sein.
Die Aufrichtigkeit mir gegenüber und dem, was ich wollte, das
war das Letzte, was ich aufgeben durfte! Ich schlug meinen Mantelkragen
hoch und begleitete mich selbst in den Schaufenstern der Stadt
und durch die Pfützen auf dem Asphalt.
»Never
Mind«
M.,
The Many
8. An Actor
IIrgendwie fiel
es mir nicht schwer, mich bei diesem Casting anzumelden, es
kümmerte niemanden, und es musste ja niemand davon erfahren.
Eine Karriere braucht jeder, koste sie was es wolle. Es war
ja nur ein Anfang, und meine Schauspielerambitionen würde
ich in den nächsten Schritten weiter ausbauen. Schließlich
hatte ich Glück und mein Gesicht hat offenbar gefallen,
zumindest fand man es passend für einen Werbespot. Ich
sollte lediglich wie James Dean im Auto sitzen und ab und
an eine rauchen. Nun machte ich eben meine Maske zu meinem
Beruf. Und siehe, erstmals hatte ich so etwas wie Erfolg!
Ich verdiente auf einen Schlag Geld, unerwartet viel Geld.
Nebenbei übernahm ich noch ein paar Model-Jobs und mein
Budget war bis auf weiteres gedeckt. Es kam mir unverschämt
viel vor! Da dämmerte
mir, die Kunst könnte mir eine Perspektive eröffnen.
Möglicherweise bot sie mir endlich einen Weg in eine
andere Welt. Die Produktion alternativer Welten stellte sich
für mich mit einem Mal als reale Möglichkeit dar,
dorthin vorzudringen, wo man sich nicht abspeisen ließ
mit einem Spießerdasein. Vielleicht reichte es auch
bis zum Star!
Es fühlte sich tatsächlich an, als wäre das
die ideale Beschäftigung für mich. Hier bekam ich
es endlich mit Leuten zu tun, die ähnlich wie ich auf
der Suche waren. Jeder für sich ein Außenseiter
auf seine Weise. Hier schienen alle ein wirkliches Leben zu
führen, im Job ihres Lebens. Glücklicherweise bekam
ich weitere Anschlussaufträge. In mir wuchs das Gefühl,
anerkannt zu werden, ohne mich verstellen zu müssen.
War ich jetzt bei mir angekommen? Paradoxerweise mit einer
Tätigkeit, bei der ich jeden Tag ein anderer war.
Ohne
es abzuwarten, war ich verführt, die Partys zu schmeißen,
von denen andere immer träumten. Es war wie eine Wette
auf die Zukunft. Wenn Du ein Star sein willst, dann musst
du dich geben wie einer. Also die größten Partys
und die besten Frauen waren nur gut genug für mich. Meine
Freundinnen wechselten ständig, aber stets waren es die
attraktivsten Mädchen der Szene. Die Leute mochten mich.
Dachte ich. Ich wechselte so schnell meine Identitäten,
dass ich bald nicht mehr wusste, wann ich Ich war. Abermals
meldeten sich meine Zweifel: Spielte ich nicht nur in meinem
Job, sondern auch mein komplettes Leben? Ist das nun schon
mein wahres Ich? Die Angst holte mich ein. Habe ich meine
Seele bereits verspielt, ehe ich begonnen habe zu leben? Doch
noch ehe ich tiefer darüber sinnieren konnte, rief eine
Filmagentin an. Das musste mein Moment des Lebens sein, dachte
ich. Ich konnte mein Glück kaum fassen, endlich wollte
ich mich ernsthaft der Kunst der Schauspielerei widmen.
Als
erstes versuchte man mir beizubringen zwischen dem Schauspielern
und der Kunst der Schauspielerei zu unterscheiden. Hier, im
ernsten Fach, legte man mir unmissverständlich dar, dass
ich meine, zugegebener Maßen natürliche Neigung
zur Schauspielerei, die mich zugegebener Maßen einen
ersten Schritt in das Metier hat machen lassen, nun endlich
werde ablegen müssen, wollte ich ein guter Schauspieler
werden. Dabei dürfe ich nie verwechseln, dass die Schauspielerei
viel mit Verstellung und mit Lüge zu tun habe, sagte
man mir, die Kunst des Schauspielens hingegen ist ausschließlich
ernsthaft und offen zu meistern. Es ist das vollkommene Gegenteil
von Heuchelei. Jede Art von Verstellung würde im Schauspiel
sofort enttarnt und verspottet. Die Kunst des Schauspiels
verlangt zu sein! Im Augenblick des Auftritts zu sein, was
man übernommen hat darzustellen. So lautete die Maxime!
Das Ganze ereigne sich in dem Wissen, dass alle Zuseher wissen,
dass man nicht ist, was man vorgibt zu sein. Man dürfe
daher niemals das Publikum versuchen zu hintergehen, es für
dumm verkaufen, indem man ihm das Gespielte ernsthaft vormachen
wollte. Da hätte man schon verloren. Man bedurfte einer
bedingungslosen Offenheit und der Bereitschaft zur Blöße.
Authentizität war gefragt, ein einziges Mal musste man
das sein, als wäre es das letzte Mal! Das galt für
die Bühnenbretter und sonst gar nichts! So meine erste
und wichtigste Lektion, die ich lange brauchte um sie zu verstehen.
Mir
wurde klar, es ist in diesem Beruf nicht anders als im Leben.
Je klarer mir das wurde, umso mehr bedeutete es den Anfang
vom Ende. Bald konnte ich meinen Kopf nicht mehr ausschalten
und meine Schauspielkunst wurde zum erbärmlichen Machwerk.
Für die Rolle meines Lebens reichte es dann nicht mehr
aus. Man sagte mir ab.
Die
Kunst aufzusuchen, weil ich mir meiner nicht habhaft werden
konnte, war ein teuflischer Weg. Und anstatt mich dieser Erkenntnis
zu stellen, stürmte ich los, weil ich es nicht wahrhaben
wollte. Meine Partys wurden immer lauter und bunter. Meine
Gäste waren bald keine Freunde mehr und meine Freunde
bekam ich irgendwann nicht mehr zu Gesicht. Ich begann zu
trinken. Die Frauen, die mit mir ins Bett sprangen, glaubten
immer noch in mir den zukünftigen Filmstar zu sehen,
und den spielte ich ihnen verzweifelt gerne vor. Ich rauchte
die dicken Havannas, fuhr schicke Karossen, doch Spaß
kam dabei nicht mehr wirklich auf.
Ich
musste an früher denken. Als ich eigentlich einst Rockstar
werden wollte. Ich schaffte es bis zum Sänger und Frontmann
einer Rock & Roll Kapelle, und eigentlich tat ich es schon
damals nicht wegen der Musik. So wie ich jetzt nicht der Rollen
wegen Schauspieler werden wollte. Damals war ich hungrig und
jetzt bin ich süchtig nach Anerkennung. Ganz nebenbei
bin ich auf meinen Wegen der Suche zum Angeber mutiert. Nun
verhielt ich mich wohl wie ein Arschloch und war verständlicher
Weise bald auch nur noch von solchen umgeben. Ich begann mich
zu hassen.
Fortan
trieb mich mein Bedürfnis mir meine so festsitzende Maske
endlich vom Kopf zu reißen. Die Angst davor war unbeschreiblich
und schien kaum besiegbar. Ich wollte alles unternehmen, sie
zu überwinden. Sollte das ohne Hilfe gelingen? Was passiert
wohl in dem Moment, da man sich wirklich erblickt? Oder ist
es doch wie Heine sagt: "Bis auf den letzten Augenblick
spielen wir Komödie mit uns selbst."?
»An
Actor«
M.,
Betula
9. When I Met
You
Ich musste wieder
rauchen. Andernfalls würden kein Sonnenuntergang und kein
Barmädchen je wieder Sinn ergeben. Der Rauch in meinen Lungen
gab mir das Gefühl zurück. Er ließ mich empfinden, er war
Emotionsprothese, nicht eigentlich gut, ließ alles aber wieder
gut sein. Mir war klar, dass ich einknickte. Aber ich konnte
mich an Betula sehr gut erinnern, nichts Nebensächliches,
wie alle anderen bisher. Sensation eigentlich und dennoch
schon beinahe nicht mehr wahr. Ihre Haut roch von Anfang an
vertraut, ihren Geschmack konnte ich am besten erinnern, und
dass ich ihr mein Leben versprach, das wusste ich auch noch.
Ohne zu wissen, ob ich das nicht schon zu oft getan hatte.
Meine Zukunft gäbe es nur, wenn sie mit mir bereit wäre sie
zu wagen, habe ich ihr gesagt.
Nun
war es Zeit wieder nüchtern zu werden. Die Bar aufzusuchen
war eigentlich eine dumme Idee, aber schien mir die einzige
Möglichkeit eine erneute Begegnung zu provozieren. Es war
mehr als klar, dass ich gleichzeitig meinen Vorsatz, nicht
mehr zu trinken gefährdete. Hier hatte ich sie damals zum
ersten Mal getroffen und so verbrachte ich jetzt meine Tage
in jener Bar öfter als zu Hause oder an irgendeinem langweiligen
Filmset. Stets am Tresen sitzend, sinnierte ich in großer
Erwartung über verpasste Chancen und die Wahrscheinlichkeit
Betula je wieder zu sehen. Derweil der Barkeeper mein bester,
und vielleicht sogar in diesen Tagen mein einziger Freund
wurde. Er sah mich an der Tür und schaufelte grußlos Eiswürfel
ins Glas, goss großzügig Gin und Tonic darüber. Auf dass an
diesem Abend ein Wunder geschähe!
Bislang
waren die Mädchen an meiner Seite eher wie Trophäen für mein
Ego. Jede meiner Errungenschaften musste eine besondere Frau
sein und war es auch jedes Mal. Ohne mich je zu fragen, was
ich eigentlich wirklich brauchte, drängte es mich jeweils
die begehrtesten Bräute abzuschleppen. Es fühlte sich nicht
richtig und war lediglich Pose. Was immer ich vermisste und
ich in einer Beziehung suchte, hatte ich dabei bislang nicht
gefunden. "I still haven´t found what I´m looking for!"
Mein Song für meine langen einsamen Abende am Tresen.
Nur
Betula, mit der mir nie eine engere Beziehung gelungen war,
ging mir nicht aus dem Kopf. Ihr war schon an jenem einen
Abend mehr gelungen, als allen Frauen zuvor. Sie war ein Glückskind,
für mich und in mir festigte sich dabei die Überzeugung, es
sei Zeit, die Frau zu finden, die mich durch mein Leben begleiten
sollte. Die Vorstellung von einer Familie überlagerte mit
jedem Gin Tonic mehr, meine habherzigen Unternehmungen ein
Star zu werden. Etwas Besonderes zu sein im Normalen? Die
Rechnung ging nicht auf. Ich scheiterte an meinen Ansprüchen.
An meinen? Oder hat man sie mir in den Kopf gepflanzt. Uns
allen? Ich war nicht so einzigartig, wie erwünscht. So wenig,
wie all die anderen. Zwar ganz gewiss nicht die Norm, aber
auf jeden Fall zu wenig verrückt! Der Spuk des Be-sonderen,
den man aus sich zu machen hat, der jeder einzelne sein sollte,
hatte mich zu lange in den Bann geschlagen. Die Angst als
Spießer zu enden und die andauernde Angst stets eine Chance
des Lebens verpasst zu haben, haben mich von mir fortgetrieben.
Mir selbst unbedingt treu zu bleiben? Was war das für eine
schizophrene Angelegenheit? Worin besteht meine Authentizität,
wenn ich sie mir nicht selbst verpasste? "So schwanke ich
zwischen Norm und Einzigartigkeit! Und bin doch einer unter
Vielen." Mein
Freund der Barkeeper unterbrach das Polieren eines Shakers
und sah mich ratlos an. Meine beharrliche Suche, geriet mir
zur Verzweiflung und ließ mich entgleisen anstatt mich in
eine Spur zu setzen. Wie dumm von mir, das zu erwarten, und
nach dem Oberflächlichen zu greifen?
Heiße
Tropfen fielen ins Glas, und im Glas sah ich Betula. Sie wünschte
ich mir an mein Seite, einen Menschen, der mich bedingungslos
und nur meiner selbst wegen annehmen würde, bei dem ich "ich
selbst" sein könnte, die durch meine Maske dringen und sie
mir irgendwann herunterreißen würde. Sie drehte sich, sie
tanzte ganz für sich, abwesend, bezaubernd schwang sie im
Takt. Als umarme sie sich selbst. Hielte inne in einem verführerischen
Tanz. Bis sie mich bei der Hand nahm und wir kreisten, wie
Atome, Planeten, Galaxien. Für eine schöne Zeit schien Liebe
auf einmal ein gangbarer Weg mich vergessen zu machen. Ich
konnte sie fühlen, mit jeder Drehung mir größere Leichtigkeit
einflößend. Sie hatte sich wortlos zu mir an den Tresen gesetzt,
noch während sich im Glas unaufhaltsam das Paar in weite Sphären
schraubte, sodass ich ganz vergaß zu reagieren. Ich hatte
sie wahrgenommen, aber es gab einfach keine Worte, die den
Moment nicht zerstört hätten. Klarheiten würden telepathisch
wohl besser kommuniziert, und so saßen wir, beide gemeinsam
dem Paar im Glas zusehend, bis es zerbrach. Sie hatte mich
aufgesucht, um alles zwischen uns auszuräumen, was je von
einer Zukunft gehandelt
hatte.
»When
I Met You«
M.,
Betula, The Devil
10. California
Who Are
Was also sollte
ich noch hier? Gefüttert mit Idealen und Lügen sah
ich mich also nackt an den Felsen gekettet und der herzzerreißenden
Sehnsucht ausgeliefert. Bislang unbefriedigt von meinem Dasein,
das sich anschickte eine endlose Suche zu werden; mehr noch
eine Hetzjagd offenbar auf mich selbst, mit der bislang wenig
tröstlichen Erkenntnis, nie zu wissen, wohin man gehört
und was glücklich sein bedeutet. Ein Leben eine Sehnsuchtsreise?
Was hatte es nur auf sich mit dem vielbesungene "California"?
Und wann sollte ich endlich dorthin gelangen?
Aber
das Leben steht genauso wenig allein, wie das Glück oder
die Wahrheit es tun. Genau deswegen kann man ihnen auch nicht
entfliehen, sie kleben einem an der Existenz, wie Rohöl
an unschuldigen Seevögeln. Ich hatte mich immer dabei,
wohin ich auch ging. Mit jedem weiteren Sprung, den ich wagte,
landete ich wieder bei mir und bei den alten Fragen. Doch
ich war jung und sehnte mich nach einem freien, friedlichen
und unbeschwerten Leben unter gleichgesinnten Menschen auf
diesem wunderbaren Planeten. Wieso sollte das nicht gelingen?
Die Vorzeichen standen doch bestens. Besser als je zuvor in
der Weltgeschichte! Wohl behütet aufgewachsen in westlich
geprägter Wohlstandsgesellschaft, der Boom der Sechziger
hallte lange nach. Mit Bildung und Kultur reichlich versorgt,
verfügte ich obendrein über einen Generationenvertrag,
der mich bis ans Ende des Lebens absichern sollte? So what?!
Wieso also verfolgte mich der Gedanke, dass ich dennoch das
Glück suchen musste? Wieso konnte man nicht einfach zufrieden
sein? Weil einem nichts geschenkt wird auf dieser Welt, wie
es hieß? Musste ich also erst noch meine Schulden abarbeiten?
War das alles nichts wert, weil es nicht meins war? Mich beschlich
das Gefühl, irgendjemand wollte etwas von mir und er
würde mich nicht einfach in Ruhe lassen! Der Stachel
in meinem Fleisch war platziert, nur wusste ich nichts davon.
Ich durfte einfach nicht aufgeben. So stand der Aufbruch erst
noch bevor, "California, meine Sehnsucht, wer bist
Du?"
Dabei
hätte ich mir nur gewünscht mein Leben in eine Spur
zu bekommen. An Routine und Verlässlichkeit mangelte
es mir am meisten und doch musste ich auf Reisen gehen? Gerne
hätte ich einen Plan gehabt, (vielleicht auch gemeinsam
mit Betula), an den ich mich hätte halten können.
Doch das war die Rache der Konservativen, die haben mich abgestoßen
und für die Freaks war ich zu normal. Eigentlich war
es die Freiheit, dem allen nicht folgen zu müssen, die
an mir zerrte. In Form von Waren und Bildern, Lebensstilen
und Luxus vorgeführt, traktierten sie mich und stachelten
mich an; nicht schon zufrieden sein! Was ist denn mit Deinen
Träumen? (Hörte ich da ein listiges Kichern im Hintergrund?)
Des nachts mit dem Nightliner von Konzert zu Konzert zu tuckern
und allabendlich als Rockstar die Konzerthallen füllen?
Wie wäre es? Rund um den Globus jetten den Rock´n´Roll
feiern! Da darf man als Reklamedarsteller doch nicht schon
zufrieden sein. "Der Pausenclown kann doch nicht die
Rolle Deines Lebens sein! Nun muss es ja nicht die ganz große
Nummer werden, aber ein bisschen mehr dürfte es schon
sein, oder?" (Wer sprach da?) Mir schien, der Zeitpunkt
in meinem Leben gekommen, nach den Sternen zu greifen. Darunter
durfte man es nicht machen! "California, Du schmeißt
mich aus der Bahn!"